20.12.2021
Seit knapp einem Monat ist Islands neue Regierung im Amt. Das ungewöhnliche Dreierbündnis wird seine Zusammenarbeit weitere vier Jahre fortsetzen. Doch die Herausforderungen sind groß – ob Corona-Pandemie, Wirtschaftseinbruch oder Verfassungsreformen.
Bei den Parlamentswahlen konnte die Regierungskoalition unter Premierministerin Katrín Jakobsdóttir allen Unkenrufen zum Trotz ihre Mehrheit behaupten. Am 28. November 2021 haben die drei bisherigen Bündnispartner – die konservative Unabhängigkeitspartei, die bäuerlich-liberale Fortschrittspartei und die Links-Grüne Bewegung – einen gemeinsamen Koalitionsvertrag unterzeichnet.
Doch die Kräfteverhältnisse zwischen den ungleichen Partnern haben sich deutlich verschoben. Denn obgleich die Regierungschefin in der Bevölkerung beliebt ist, musste ihre Partei deutliche Verluste hinnehmen. Das Regieren dürfte also nicht einfacher werden. Dabei gibt es für die Koalition in den kommenden vier Jahren jede Menge zu tun.
Corona-Pandemie
Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie hat die EU-Gesundheitsbehörde Island im November als Hochrisikogebiet eingestuft. Innerhalb von zwei Wochen wurden mehr als 550 neue Corona-Fälle auf der Insel registriert.
Die Regierung fuhr in der Pandemie zuletzt einen Schlingerkurs. Zwei Mal hat sie bereits das Ende aller Corona-Maßnahmen verkündet. Doch angesichts steigender Fallzahlen musste sie innerhalb kürzester Zeit zurückrudern – zuletzt im November, als der isländische Chefepidemiologe vor der schwersten Corona-Welle seit Beginn der Pandemie warnte.
Dabei ist Island lange Zeit gut durch die Krise gekommen, und auch beim Impfen konnte der kleine Inselstaat große Erfolge vorweisen: 77% der Bevölkerung sind zwei Mal geimpft. Beinahe 145.000 Menschen haben zudem bereits eine Auffrischungsimpfung erhalten.
Doch das Auftreten der neuen Omikron-Variante stellt auch die isländischen Behörden vor neue Herausforderungen. Aktuell sind bereits 40 Fälle der neuartigen Virus-Variante diagnostiziert (Stand: 17.12.2021). Anfang Dezember hat die Regierung die Corona-Beschränkungen erneut um zwei Wochen verlängert.
Zum Jahresbeginn soll die Impfkampagne für Kinder im Alter von 5 bis 11 Jahren starten. Und die Regierung wird einen neuen Weg im Umgang mit der Pandemie finden müssen, will sie das Vertrauen in den kommenden Monaten nicht verspielen.
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Wirtschaftskrise
Das Corona-Virus hat auch Islands Wirtschaft erfasst. 2020 ist die Wirtschaftsleistung um 6,5% eingebrochen, und auch für 2021 prognostiziert das Statistikamt nur ein Wachstum von 2,6%.
Islands Wirtschaft wird traditionell von wenigen Branchen dominiert und reagiert entsprechend sensibel auf veränderte Rahmenbedingungen. Vor der Krise hing jeder dritte Job an der Tourismusbranche. Doch 2020 sind die Einnahmen durch ausländische Reisende um 75% eingebrochen, und auch in diesem Jahr hat der unerwartete Anstieg der Infektionszahlen im Sommer die Hoffnungen auf einen baldigen Aufschwung gedämpft. Im ersten Halbjahr 2021 kamen rund 52% weniger Gäste auf die Insel als im gleichen Zeitraum 2020.
Für Island bietet die Krise dennoch eine Chance. Von 2010 bis 2018 hatte sich die Zahl der Reisenden auf 2,34 Mio. fast verfünffacht – und die Infrastruktur des Landes massiv belastet. Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) warnte im Frühjahr, dass Islands Wirtschaft zu stark vom Tourismus abhängig sei.
Die Regierung will die Reiseströme in Zukunft besser steuern und Gäste auch in bisher vernachlässigte Regionen locken. Dafür investiert Island allein 30 Millionen Euro in seine Regionalflughäfen. Künftig sollen Reisende aus dem Ausland auch den Norden und Osten des Landes direkt anfliegen können. Die Verkehrsinvestitionen sind Teil des staatlichen Corona-Hilfspaketes.
Doch das allein wird nicht reichen. Die Regierung muss neue Impulse setzen, um die Abhängigkeit der Wirtschaft vom Tourismus zu verringern. Dabei können ausländische Direktinvestitionen helfen, die seit einigen Jahren verstärkt in den Groß- und Einzelhandel, in wissenschaftliche und technische Dienstleistungen, Information und Kommunikation sowie den Finanzsektor fließen.
Die Regierung will zudem Innovationspotentiale besser nutzen, etwa durch eine verstärkte Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft.
Außenhandelsstrategie
Im kommenden Jahr jährt sich das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum – es wurde 1992 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften (EG) und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) abgeschlossen.
Doch 30 Jahre nach Gründung des EWR hat sich die Welt verändert. Inzwischen sind fast alle EFTA-Staaten der EU beigetreten – bis auf Norwegen, Liechtenstein und Island. Noch bis zum Sommer 2022 hat der Inselstaat den Vorsitz der EFTA inne – und wird auch die Frage beantworten müssen, wie die Zusammenarbeit mit der EU nach dem Brexit aussehen soll.
Bereits im Juli 2021 haben die drei EFTA-Mitglieder ein Freihandelsabkommen mit Großbritannien unterzeichnet. Der Brexit trifft Island hart, da der Fischhandel nun nicht mehr über die EU laufen kann. Viele Abkommen zwischen beiden Ländern müssen neu verhandelt werden.
Das veränderte Machtgefüge in der EU hat auch Folgen für die Kooperation mit Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden im Nordischen Rat, die seit 2014 einen Reformprozess durchläuft. Künftig soll die Zusammenarbeit verstärkt auf Regierungsebene erfolgen, um den fünf nordischen Ländern international mehr Gehör zu verschaffen.
Auch Island steht vor der Herausforderung, seine geopolitische Rolle neu zu definieren. Dazu gehören die Beziehungen zum schwierigen Nachbarn Russland – und zum langjährigen Verbündeten USA, der insbesondere in der Arktispolitik zunehmend einen unilateralen Kurs verfolgt. Island, das bis zum Mai 2021 den Vorsitz des Arktischen Rates innehatte, hielt dennoch an seiner Agenda fest - mit Erfolg. Doch der politische Wind weht deutlich schärfer.
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Verfassungsreform
Die Debatte um eine Verfassungsreform dürfte in dieser Legislaturperiode erneut Fahrt aufnehmen. Zwei Drittel der Bevölkerung wollen ein neues Grundgesetz, wie eine Umfrage kurz vor der Parlamentswahl Ende September ergab.
Als Island 1944 seine Unabhängigkeit erlangte, wurde das noch aus dänischer Zeit stammende Regelwerk nur leicht angepasst. Was als Übergangslösung gedacht war, wurde zum Dauerkonstrukt. Nach dem Finanzcrash 2008 gab es einen neuen Anlauf – und die Bürgerinnen und Bürger konnten sich via Netz am Projekt „Volksverfassung“ beteiligen.
Zwar gab es dafür bei einem Referendum 2012 eine Zwei-Drittel-Mehrheit – aber auf eine neue Verfassung wartet Island noch immer. Denn das Votum war für das Parlament nicht bindend.
Während die Links-Grüne Bewegung von Premierministerin Katrín Jakobsdóttir sich für mehr direkte Demokratie einsetzt, treten Konservative und Liberale bei dem Thema auf die Bremse. Es wird sich zeigen, ob die ungleichen Partner sich gleichwohl zu Reformen durchringen können.
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Energiepolitik und Klimaschutz
Bis 2040 will Island klimaneutral sein. Das sieht der Nationale Klimaschutzplan vor. Und bis 2050 soll Island als erstes Land weltweit frei von fossilen Brennstoffen sein. Doch bis dahin gibt es noch eine Menge zu tun.
Die Regierung setzt auf einen Ausbau der Elektromobilität – mit staatlichen Investitionen in Ladestationen und Kaufanreizen für E-Autos. Schon heute sind auf isländischen Straßen 11% aller Wagen mit alternativen Kraftstoffen unterwegs. Stromer machten 2020 rund 60% der neu zugelassenen Fahrzeuge in Island aus – und bis 2030 sollen gar keine neuen Benzin- und Dieselautos mehr verkauft werden.
Ein weiterer Schwerpunkt sind Landnutzung und Forstwirtschaft. Nur noch 0,5% der Fläche Islands sind bewaldet. Die ersten Siedler holzten fast alle Bäume ab, um daraus Boote und Häuser zu zimmern. Davon hat sich der Wald bis heute nicht erholt. Das Ziel der Regierung: Bis zum Jahr 2100 sollen mindestens 12% der Landesfläche aufgeforstet werden, um Treibhausgase zu verringern.
Vor allem aber wird Island seinen wirtschaftspolitischen Kurs überdenken müssen. Zwar ist der Inselstaat europäischer Vorreiter, wenn es um erneuerbare Energien geht. So stammen Strom und Wärme zu 100% aus Wasserkraft und Geothermie. Doch mit Klimaschutz hatte das bisher wenig zu tun – es ging darum, Kosten und Energie-Importe zu senken. Denn rund 70% des erzeugten Stroms werden von der Schwerindustrie verbraucht – vor allem um Aluminium herzustellen. In den vergangenen Jahren haben zudem immer mehr Bitcoin-Schürfer und IT-Konzerne ihre Rechenzentren nach Island verlagert. Längst verbrauchen die Server mehr Strom als die gesamte isländische Bevölkerung.
Nachdem niedrige Wasserstände zu Stromengpässen führten, hat der staatliche Energieversorger Landsvirkjun Anfang Dezember den Minern die Stromversorgung gekürzt. Neue Anträge für Mining-Aktivitäten werden vorerst nicht genehmigt. Islands Regierung wird eine neue Balance zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Klimaschutz finden müssen, wenn die Rechnung aufgehen soll.
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