15.12.2020

Auf dem Weg in die Zukunft

Den Kampf gegen das Coronavirus führt Island digital. Längst hat sich die IT-Branche zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige entwickelt. Die Politik hat nach der Finanzkrise einiges dafür getan, das Land im digitalen Standortwettbewerb zu etablieren. 

 

Leere Landstraße mit kleiner Hütte am linken Straßenrand. Bild von Ivars Krutainis auf Unsplash.
Mit Highspeed auf der Datenautobahn: Island setzt auf Digitalisierung. © Ivars Krutainis auf Unsplash.

 

Den Kampf gegen Corona führt Island digital. Als eine der ersten Tracing-Apps ging Anfang April Rakning-Covid 19 an den Start, um Ansteckungen nachzuverfolgen. Bei den Corona-Tests stützte sich die Regierung auf die Zusammenarbeit mit der Firma deCode, die eine der weltgrößten Gendatenbanken besitzt.

 

Wer erste Anzeichen spürt, meldet sich online zum Test und erhält innerhalb von 24 Stunden die Ergebnisse. Bis Mitte November haben so schon 55% der Bevölkerung am Corona-Screening teilgenommen. Alle Daten werden in einem nationalen elektronischen Patientendatensystem erfasst. 

 

In kaum einem anderen Land kam moderne Technik in der Pandemie stärker zum Einsatz als auf der Insel im hohen Norden. Island ist, zusammen mit Südkorea, Digitalisierungsweltmeister, besagt der digitale Entwicklungsindex der ITU, der Internationalen Fernmeldeunion, die 176 Länder vergleicht.

 

2019 hatten laut Eurostat 95% der Haushalte in Island Zugang zu Breitbandinternet. 99% der 16- bis 74-Jährigen surften im World Wide Web. Und 83% verfügten über digitale Kompetenzen.

 

Wirtschaftsfaktor IT 

 

Das Internet hat sich, neben dem Tourismus und der verarbeitenden Industrie, längst zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor in Island entwickelt. Im Jahr 2016 lag das Wachstum der IT-Branche bei mehr als 7%, 2017 bei fast 4%. Die Zahl der Startups wächst rasant; 2019 war Island unter den Top-10-Märkten in Europa. 

 

Das Land habe die ersten beiden industriellen Revolutionen verschlafen, sagt Ingi Björn Sigurðsson, Projektmanager bei Icelandic Startups. Der wirtschaftliche Aufschwung begann erst nach dem Zweiten Weltkrieg. "Island übersprang zwei Revolutionen und ist direkt in der dritten Phase gelandet", so Sigurðsson gegenüber der Süddeutschen Zeitung

 

Der isländische Markt sei klein, das Netz daher für unternehmerisches Wachstum umso wichtiger. Islands Bevölkerung ist zudem deutlich jünger als in anderen europäischen Ländern. "Die jungen Menschen treiben die Nutzung des Internets sehr voran."

 

Island setzt auf eGovernment

 

Auf dem Weg ins digitale Zeitalter setzt Island auf eGovernment - und hat dabei einen natürlichen Startvorteil: seine geringe Größe. Bereits 2011 hatte die damalige Regierung das Ziel ausgegeben, Island zu einem der zehn führenden Länder bei der Verwaltung 4.0 zu machen.

 

Seit 2015 können die Bürgerinnen und Bürger ihre Steuererklärung vollständig elektronisch einreichen. Mehr als 85% nutzen inzwischen das Internet, um mit Behörden in Kontakt zu treten. 

 

Kein Wunder, dass Island nach der Finanzkrise auch die Arbeit an der geplanten neuen Verfassung ins Netz verlegte. Stjórnlagaráð, der Verfassungsrat, übertrug seine Sitzungen via Internet, alle Entwürfe waren auf einer Website einsehbar. "Die Öffentlichkeit kann dabei zusehen, wie die Verfassung entsteht", sagte Thorvaldur Gylfason, Mitglied im Rat. 

 

Bei einer Volksabstimmung im Oktober 2012 votierte eine Zwei-Drittel-Mehrheit für den Entwurf. Allein: Das Parlament musste zustimmen, und nach monatelangem Gezerre war das Projekt "Facebook-Verfassung" (Der Spiegel) in einer Nachtsitzung Anfang 2013 gescheitert - an den analogen Realitäten.

 

Neue Wirtschaftschancen

 

Weniger zögerlich war die Politik, als es nach der Finanzkrise darum ging, neue Wirtschaftschancen zu ergreifen. In den vergangenen Jahren haben mehr und mehr IT-Konzerne ihre Rechenzentren nach Island verlagert. Denn mit den Datennetzen wächst der Strombedarf - und damit der Druck, auf "schmutzige" Energie aus Atom- oder Kohlekraft zu verzichten. 

 

Island bietet neben kostengünstigem Strom aus erneuerbaren Energien auch ein zuverlässiges Netz. Außentemperaturen von 5 bis 13 Grad machen es einfacher als andernorts, die Server zu kühlen.

 

Doch im digitalen Dauerwettbewerb schläft die Konkurrenz nicht: facebook hat sein europäisches Datacenter in Nordschweden errichtet, Google baute eine Serverfarm im finnischen Hamina. Islands Regierung tut deshalb einiges dafür, dass der Standort attraktiv bleibt: niedrigere Steuern, über Jahre garantierte Strompreise ...

 

Nicht zu vergessen: Sicherheit im Netz. Durch Islands Zugehörigkeit zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gelten die Datenschutzbestimmungen der EU auch hier.  

 

Keine Frage: Island nutzt die Chancen der Digitalisierung. Kurioses Beispiel: die Kampagne Let it Out der Tourismusinitiative Inspired by Iceland. Auf der Website können Menschen aus aller Welt ihren Frust über die Pandemie herausbrüllen - Lautsprecher tragen den Schrei in Islands Weiten. Krisenbewältigung auf Isländisch. 

 

Text: Nicole Maschler

 

 

Dieser Text ist zuerst im DIG-Newsletter 2020 erschienen. 


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