15.09.2020
Eine humorvolle Kampagne in den sozialen Medien erinnert daran, dass die Isländerinnen und Isländer noch immer auf eine neue Verfassung warten. 2013 hatte sich die Bevölkerung selbst daran gemacht - doch das Verfassungsprojekt scheiterte an der Politik.
Wo ist sie bloß – im Wäschekorb, im Gemüsebeet oder etwa im Reykjavíker Stadtsee Tjörnin? Gesucht wird – eine Verfassung. Mit einer humorvollen Kampagne in den sozialen Medien fordert die Frauenvereinigung für eine neue Verfassung die Regierung auf, ihren Worten Taten folgen zu lassen und den Entwurf für ein neues Grundgesetz vorzulegen.
Bilder auf Instagram und Twitter zeigen die Aktivistinnen von hinten, wie sie mit gesenktem Kopf nach etwas suchen – eben der verschollenen Verfassung.
Mitsuchen ist erwünscht
Wer sich an der (Such-)Aktion beteiligen will, kann unter den Hashtags #hvar (deutsch: #wo) und #HvarErNýjaStjórnarskráin (#WoIstDieNeueVerfassung) folgen.
Die Kampagne knüpft an Islands legendäres Verfassungsprojekt an: Die Finanzkrise 2008 hatte das Vertrauen in die Politik erschüttert. Alle waren sich damals einig: Das Land braucht einen Wandel. Das Projekt Volksverfassung war geboren.
Ein aus 500 Persönlichkeiten gewählter Verfassungsrat, Stjórnlagaráð, sollte ein neues isländisches Grundgesetz entwerfen – als Ersatz für das alte, das nach der Unabhängigkeit von Dänemark 1944 mit nur wenigen Änderungen weiter galt.
Der 25-köpfige Rat übertrug seine Sitzungen via Internet, alle Entwürfe waren auf einer Website einsehbar. Über die sozialen Netzwerke und per E-Mail konnten Bürgerinnen und Bürger Änderungsvorschläge schicken – und machten rege davon Gebrauch.
Nach einem halben Jahr händigte der Verfassungsrat dem Parlament seinen Entwurf aus. Bei einer Volksabstimmung im Oktober 2012 gab es dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Allein: Das Votum war nicht bindend, und nach monatelangem Gezerre wurde das Projekt "facebook-Verfassung" (Der Spiegel) vom Parlament in einer Nachtsitzung Anfang 2013 beerdigt.
Aktivistinnen wollen nicht länger warten
Bei den kurz darauf anstehenden Wahlen gewannen die bürgerlichen Kräfte, die das Graswurzel-Projekt ohnehin skeptisch beäugt hatten. Seither lässt die neue Verfassung auf sich warten.
Nicht mehr warten wollen die Aktivistinnen der Frauenvereinigung. Bis Mitte September 2020 hat die Initiative laut dem Online-Magazin Icelandic Review bereits 20.000 Unterschriften gesammelt.
Ein klarer Wink an die Regierenden in dem kleinen Inselstaat, noch vor der nächsten Wahl im September 2021 tätig zu werden.
Ähnliche Beiträge