08.03.2022
In ihrem Reiseführer Das Walmuseum, das Sie nie besuchen werden nimmt uns A. Kendra Greene mit auf Streifzug durch Islands Museen. Wir plaudern mit Sammlern, schlendern durch die Räume und vielleicht treffen wir auch den Strandwandler. Kommen Sie mit!
Haben Sie schon einmal einen Pottwal-Phallus gesehen oder ein Rippenbaby? Kennen Sie den geheimnisumwitterten Strandwandler und gar den Seekobold? Nein? Dann kommen Sie mit. Ins Museum der Finsternis, in Petras Steinsammlung oder vielleicht ins Museum der isländischen Eisbären. Sicher ist: Sie werden jede Menge Geschichte(n) erfahren – ob Sie es glauben oder nicht.
In ihrem wunderbaren Buch Das Walmuseum, das Sie nie besuchen werden nimmt uns die US-amerikanische Autorin A. Kendra Greene mit auf einen ungewöhnlichen Streifzug durch Island.
Auf unserer Tour begegnen wir Museumsgründerinnen und -gründern, ihren Familien und Nachkommen, plaudern mit Kassierern, Reiseführerinnen und Café-Besitzern. Wir schlendern durch die Ausstellungsräume, lassen den Blick schweifen, staunen.
Dabei findet sich auf den 300 Seiten zwar eine Menge federleichter Zeichnungen, aber keine einzige Abbildung. Die Museen, sie erstehen allein in unserer Fantasie.
Darunter sind solche, für die es Einbildungskraft braucht, weil sich unter ihrem Dach kein einziges Exponat findet wie im Museum der isländischen Ungeheuer. Andere wiederum beflügeln unsere Fantasie wie das Penismuseum.
Und dann gibt es noch jene, die nur in der Vorstellung der Autorin existieren, wie das Museum der Möwentricks, hinter dem sich nichts anderes als ein kleines Fischerboot im Hafen von Húsavík verbirgt.
Greene, die im US-Bundesstaat Texas als Kunstgrafikerin und Universitätsdozentin arbeitet, ist eine ebenso neugierige Entdeckerin wie kluge Beobachterin. Und so wie es geographisch quer durch das Land geht, von Nord nach Süd und von West nach Ost, bewegt sich auch der Text lustvoll zwischen Essay, Reportage und Reisebuch.
Raue Natur und wundersame Sagen
Das Museum der Heringsära in Siglufjörður entstand, als die Fischindustrie im Norden Islands zusammenbrach und mit den heruntergekommenen Hallen und leerstehenden Fabrikgebäuden auch den letzten Zeugnissen der Stadtgeschichte der Abriss drohte.
Das Projekt erzählt viel über das Engagement, den Optimismus und die Hartnäckigkeit der Menschen hier, die sich nicht unterkriegen lassen, selbst wenn die Lage aussichtslos erscheint.
Auch das Museum der isländischen Ungeheuer in Bíldadur existiert allein, weil ein Grüppchen Ausgewanderter am Stammtisch in der Hauptstadt Reykjavík überlegte, wie es der angeschlagenen Wirtschaft in der Heimat helfen könnte. Am Ende besannen sie sich auf das, was da war – die alten Geschichten von wilden Wesen mit scharfen Klauen und Augen groß wie Kaffeetassen.
Und so sind Islands Museen eng verbunden mit dem, was die Insel ausmacht: raue Natur, wundersame Sagen und mythische Orte.
Da sind Petras Steinsammlung an der Ostküste Islands und Sigurgeirs Vogelmuseum am Mývatn-See, die von der herben Schönheit der Insel erzählen. Oder das Museum für isländische Zauberei und Hexerei und jenes der isländischen Ungeheuer in den Westfjorden, in denen wir die alten Mythen neu entdecken.
Die Häuser bewahren isländische Geschichte und Tradition und stiften so ein Stück Identität.
Wie das Skógar-Museum im Süden Islands, das 15.000 Alltagsgegenstände versammelt – eine Mistgabel und eine Holzschaufel, ein Torfmesser, einen Speckstein, einen Wal-Magen. Stumme Zeugen des gewaltigen Umbruchs, der Island seit der Mitte des 20. Jahrhunderts erfasst hat.
Es sei ein Museum des Mangels, so die Autorin, denn das Leben auf der Insel war über Jahrhunderte von großer Armut geprägt. Und ein Museum des Überflusses, weil innerhalb von nur einer Generation alle Utensilien des bisherigen Lebens ausgetauscht wurden.
Wie eine Kuratorin ordnet Greene ein, begutachtet und wägt ab. So lernen wir viel über Islands Entwicklung vom Armenhaus am Rande der Welt zur progressiven Wohlstandsinsel.
Museumsboom in Island
Steinsammlerin Petra arbeitete viele Jahre in der Fischfabrik, ihre steinernen Schätze hortete sie bei sich zu Hause.
Dann wurde die Straße ausgebaut, und eines Tages kamen die ersten Reisenden. Die Gäste brauchten eine Toilette, sie bauten eine Veranda an und schließlich das Kassenhäuschen. Ein privater Ort, so Greene, wurde allmählich öffentlich.
Die meisten der isländischen Museen wurden seit den 1990er Jahren eröffnet, als Tourist:innen die Insel entdeckten und die Politik das private Unternehmertum.
Heute gibt es 265 Häuser auf der kleinen Insel, die nur rund 370.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt. Wenngleich viele von ihnen durch private Initiative entstanden sind, bilden sie zusammen doch so etwas wie ein nationales Gedächtnis – das zeigt das Buch eindrucksvoll.
So originell und überraschend wie das Land, über das sie schreibt, ist auch Greenes Museumsguide, ein Reiseführer der besonderen Art.
Von dem Walmuseum, das dem Buch den Titel gab, existieren übrigens gleich zwei. Eines mit lebensgroßen Walen aus Schaumgummi, Trockenmodelle, in China hergestellt, die erst unterm Wasserstrahl Form annehmen. Und ein kleines, bescheidenes, das von einem Ehepaar hinter einer Tankstelle liebevoll gestaltet wurde.
Leider, so Greene, habe außer ihrer Freundin niemand je von diesem Museum gehört.
Also: Falls Sie es finden sollten, melden Sie sich.
Text: Nicole Maschler
A. Kendra Greene
Das Walmuseum,
das Sie nie besuchen werden
Eine Reise nach Island
Liebeskind Verlag München 2022
272 Seiten