22.05.2023

Fluchtpunkt Island

In ihrem Dokumentarfilm Island: Zuflucht und Erfüllung erzählen Arthúr Bollason und Michael Locher die Lebensgeschichte des Hamburger Bildhauers Wilhelm Beckmann, der vor den Nationalsozialisten nach Island floh und dort eine neue Heimat fand.

 

Szene aus dem Dokumentarfilm "Island: Zuflucht und Erfüllung". Bild von Arthúr Bollason / Michael Locher.
Ein Isländer aus Hamburg: der Bildhauer Wilhelm Beckmann (Filmausschnitt). © Arthúr Bollason / Michael Locher.

 

Die Spurensuche beginnt auf dem Friedhof in Reykjavík. Ein schmuckloser Grabstein erinnert an den in Hamburg geborenen Bildhauer Wilhelm Beckmann. Ein Sozialdemokrat mit deutschen Wurzeln, der in Island eine neue Heimat fand.

 

In ihrem sehenswerten Dokumentarfilm Island: Zuflucht und Erfüllung erzählen Arthúr Bollason und Michael Locher die ungewöhnliche Lebensgeschichte Beckmanns. Die Botschaft von Island in Berlin präsentierte den 40-minütigen Film Anfang Mai in Anwesenheit der beiden Autoren.

 

1909 im Stadtteil Hammerbrook geboren, wächst Wilhelm Beckmann in einfachen Verhältnissen auf. Der Vater ist Hafenarbeiter und aktiver Gewerkschafter.

 

Nach der Volksschule absolviert der junge Hamburger eine Lehre als Holzbildhauer. In der Weltwirtschaftskrise hat Beckmann dank eines Notprogramms für arbeitslose Jugendliche ein mageres Auskommen.

 

Doch schon bald verfolgen die Nationalsozialisten Andersdenkende. Vater und Bruder landen im Gefängnis.

 

Über Kopenhagen nach Island

 

Beckmann selbst entkommt der Haft durch die Übersiedlung nach Kopenhagen, wo er die Kunstschule besucht. Weil er keine Arbeitserlaubnis erhält, zieht er im Mai 1935 weiter nach Island.

 

Nahezu mittellos, verbringt er die erste Nacht unter freiem Himmel.

 

Bald findet er Anstellung in einer Möbelfabrik, fertigt Plakate für die Sozialdemokratische Partei, bemalt die Parteikantine und gestaltet Holzbilder für die Kirche in Kópavogur.

 

Die Eltern hoffen auf seine Rückkehr. Doch Beckmann bleibt. 1940 heiratet er eine Isländerin und gründet eine eigene Familie.

 

Der Auslieferung nach Großbritannien entgeht er im Zweiten Weltkrieg, indem er für die Besatzungsmacht deutsche Schiffsfunkstellen abhört.

 

1947 nimmt Beckmann die isländische Staatsbürgerschaft an.

 

Arthúr Bollason / Michael Locher

Island: Zuflucht und Erfüllung

Dokumentation über den Künstler Wilhelm Beckmann

 

Filmlänge: 40 Minuten – Sprache: deutsch


 

Bis heute sucht man seine Werke in Museen vergeblich. Dabei hat Wilhelm Beckmann Islands Kunstwelt in vielfältiger Weise bereichert.

 

Seine Taufbecken und Altartafeln zieren Kirchen im ganzen Land, so die Villingaholtskirkja an der isländischen Südküste oder die Búðakirkja auf der Halbinsel Snæfellsnes.

 

Neben religiösen Werken fertigte Beckmann Gebrauchskunst: kunstvoll geschnitzte Bücherregale und Lesepulte, Schmuckschatullen und eigenwillige Lampen mit Tierköpfen.

 

Seine Frauen-Skulpturen sind voller Erotik. Werke, die ebenso an isländische Bildhauer-Traditionen wie an die klassische Moderne anknüpfen und doch ihren ganz eigenen Stil aufweisen.

 

Der Gegensatz zwischen Körper und Geist prägte Wilhelm Beckmanns Werk, wie die Autoren in ihrem Porträt überzeugend zeigen.

 

Arbeiten, die sich aus eigenen Lebenserfahrungen speisen und vielleicht gerade deshalb so plastisch und berührend sind.

 

Ein moderner Klassiker

 

Längst ist der Isländer aus Hamburg, der 1965 starb, ein moderner Klassiker.

 

Die nach ihm benannte Stiftung hat den Impuls für die Dokumentation gegeben, um den in Deutschland weitgehend unbekannten Künstler neu zu entdecken, berichtete Arthúr Bollason  – seit langem selbst einer der wichtigsten Kulturvermittler zwischen Island und Deutschland – bei der Filmvorführung.

 

Für den Film, der mit Unterstützung von Icelandair sowie der Isländischen Staatskirche entstanden ist, hat Bollason zahlreiche Interviews mit Fachleuten aus Museen, Kirchen und Wissenschaft geführt und sich ihre Einschätzung zu Beckmanns Werk schildern lassen.

 

Sie zeichnen das Bild eines Künstlers, der sich keinen Kategorien zuordnen lässt – und dessen Werk gerade deshalb bis heute lebendig geblieben ist.