10.03.2023
Die isländische Musikerin Hildur Guðnadóttir komponiert, spielt Cello und singt. 2020 gewann sie für den Film Joker den Golden Globe und den Oscar für die Beste Filmmusik. Jetzt hat die 40-Jährige gleich für zwei meisterhafte Produktionen den Soundtrack geliefert.
Die Erste sein – Hildur Guðnadóttir weiß, was das heißt. Die isländische Musikerin konnte es in der eigene Familie erleben. Ihre Großmutter war Islands erste Professorin, eine renommierte Virologin und alleinerziehende Mutter. „Sie hat mir beigebracht: Wenn du für etwas brennst, mach es.“
Es scheint, als habe Hildur Guðnadóttir den Rat beherzigt. Denn auch sie hat es mit ihrer Leidenschaft, der Musik, bis ganz nach oben geschafft.
Für ihren Soundtrack zum Psychothriller Joker erhielt sie 2020 als erste Frau überhaupt alle wichtigen Auszeichnungen der Filmbranche in einer Saison. In 90 Jahren Oscar-Geschichte war sie erst die dritte Künstlerin, die einen Preis für Filmmusik gewonnen hat.
In ihrer Dankesrede rief sie ins Publikum: „An alle Mädchen, Frauen, Mütter und Töchter, die die Musik in sich brodeln hören. Macht Lärm, seid laut! Wir wollen eure Stimmen hören!“
Ohne Berührungsängste
Sie selbst, die in einer Musikerfamilie aufgewachsen ist und seit der Kindheit Cello spielt, hat sich nie in ein Korsett zwängen lassen.
Mit 20 Jahren kam sie zum ersten Mal nach Berlin, wo sie heute mit Mann und Kind lebt, um an der Universität der Künste Musik zu studieren.
Zurück in Island, engagierte sie sich in zahlreichen Kunst- und Musikprojekten, spielte mit der Band Múm und dem Ensemble Störsveit Nix Noltes und betrieb die Organisation Kitchen Motors – eine Mischung aus Thinktank, Label und Künstlerkollektiv.
Sie komponierte Stücke für das Isländische Symphonieorchester, die Königlich Schwedische Nationaloper oder die Sommerkonzert-Reihe Proms der BBC, und seit 2011 ist sie regelmäßig als Komponistin für Filmmusik tätig.
Berührungsängste hat sie keine. Sie experimentiert mit elektronischer Musik, die sie live per Laptop auf der Bühne performt und mag Drone, eine düstere Metal-Spielart, das sich durch atmosphärisches Dröhnen und meditative Monotonie auszeichnet.
Das Helle und das Dunkle
Überhaupt sind die Themen, an denen Hildur Guðnadóttir arbeitet, häufig düster – eine Reaktorkatastrophe wie in der preisgekrönten Fernsehserie Chernobyl, Gewalt an Frauen wie in dem aktuellen Werk Die Aussprache oder ein Außenseiter, der zum Killer im Clownskostüm wird, in Joker.
„Mein Wesen ist hell und leicht. Aber meine Musik ist sehr introvertiert. Manche nennen das düster. Und darum ziehen mich Geschichten an, in denen sich Menschen extrem verhalten oder in extreme Situationen geraten“, sagte Guðnadóttir jüngst dem SZ-Magazin. „Wir haben das ja alle in uns, das Helle und das Dunkle.“
Eine solche Geschichte erzählt auch Tár von Todd Fields, der auf der Berlinale Deutschland-Premiere feierte und aktuell in den Kinos läuft. Die erfolgreiche Musikerin Lydia Tár (gespielt von Cate Blanchett) leitet als erste Chefdirigentin die Berliner Philharmoniker.
Hildurs Guðnadóttirs Musik gibt den Takt vor, in dem die Filmfigur durchs Leben geht, sehr forsch und schnell. Doch als sich eine ehemalige Schülerin das Leben nimmt, gerät sie in Verdacht, ihre Macht missbraucht zu haben und stolpert schließlich über die eigene Maßlosigkeit.
Ein Porträt unserer Zeit, das gleichwohl für Kontroversen sorgt. Denn im Zentrum des Films steht kein Mann, sondern eine Frau.
Hoffnung transportieren
Unbequem ist auch der Film Die Aussprache von Sarah Polley, ein intensives Kammerspiel, das weibliche Emanzipation in den Mittelpunkt rückt.
Abgeschirmt von der Außenwelt lebt eine Glaubensgemeinschaft nach streng patriarchalischen Regeln. Ein Lebensmodell, das die Frauen infrage stellen, als die sexuellen Übergriffe der Männer Überhand nehmen.
Die Musik diene dazu, Hoffnung zu transportieren, beschreibt Hildur Guðnadóttir ihre Idee gegenüber dem isländischen Online-Portal Iceland Review.
Würde sie sich selbst als Feministin bezeichnen? „Sagen wir so: Mir war immer klar, dass es wenige Frauen gab, die das machten, was ich machte“, antwortete sie darauf dem SZ-Magazin.
Und: „Ich brauche eine Verbindung zum Drehbuch, zur Geschichte, zu den Leuten, die den Film machen. Vor allem aber muss ich das Gefühl haben, dass ich dem Projekt etwas bringen kann, das jemand anderer ihm nicht bringen kann. Ich suche nach Aufgaben, die es mir erlauben, ich zu sein.“
Ein Selbstbewusstsein, das auch sie sich erst aneignen musste.
„Die Männer, die über die Projekte entschieden, darüber, wie viel Geld es gibt, die hatten meistens wenig Lust, es mit einer Frau zu versuchen. Das habe ich oft erlebt, und ich habe hart dagegen kämpfen müssen. Das ändert sich. Jetzt werden explizit Frauen gesucht, die Filmmusik machen.“