23.06.2024
Im Gespräch mit der DIG berichtet die aus Bremen stammende Autorin Eva Seifert, wie die Idee zu ihrem Roman Ein isländischer Frühling (Blanvalet-Verlag) entstand und was sie daran gereizt hat, auf den Spuren der Esja-Frauen in die Vergangenheit zu reisen.
DIG: Was hat Sie zu dem Buch inspiriert?
Eva Seifert: Zwei Dinge: Island und das getöpferte Geschirr. 😊
Das kam so: Ich habe Urlaub auf Island gemacht und war mir sofort sicher, dass dort mein nächster Roman angesiedelt sein sollte.
Was das Geschirr angeht, da war es eine faszinierende Begegnung, die den Auslöser gegeben hat – wieder im Urlaub, allerdings diesmal in Wales, wo ich für meinen zweiten Roman Ein Sommer unter Apfelbäumen recherchiert hatte. Wir trafen dort auf dem Campingplatz ein Ehepaar, etwas älter als wir, sie kamen ebenfalls aus Bremen und waren mit dem Wohnmobil unterwegs.
Wir kamen miteinander ins Gespräch, und sie erzählten uns, dass sie ein bisschen im Land herumreisen und bei der Gelegenheit eine Kunsthandwerkerin, eine Töpferin, besuchen wollten, bei der sie vor Jahren in Bremen ein Service erstanden hatten, und die nun in der Nähe von London wohnte. Sie wollten dabei auch das Geschirr aufstocken, es waren zwischenzeitlich ein paar Stücke zu Bruch gegangen.
Diese beiden und ihre Geschichte haben mich zu Bärbel und Werner inspiriert und zu dem Service, an dem Bärbel so hängt – und von dem zu Beginn des Buches die letzte Schüssel zerbricht. Der Anlass, warum Bärbel und ihre Tochter Katharina nach Island reisen …
Zwei Zeitebenen: 1949 und 2022
DIG: Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen. Während ihrer Island-Reise wohnen Katharina und ihre Mutter Bärbel bei einer alten Freundin, Ellen, deren Mutter Ulrike 1949 aus Deutschland kam, um auf Island einen Neuanfang zu wagen. Was hat Sie gereizt, die Zeit zurückzudrehen?
Eva Seifert: Das mache ich immer gerne, zwei Zeitebenen zu verflechten, das finden Sie auch in meinen anderen Romanen. Ich wusste, dass der Roman auf Island spielen und dass es darin um ein Leben auf dem Land in früheren Zeiten und um eine Töpferin gehen sollte. Als ich bei den Recherchen zu Islands Geschichte auf die Esja-Frauen stieß, war das eine unglaublich glückliche Fügung, der perfekte Aufhänger für meine Vergangenheitshandlung!
DIG: Heimat ist ein großes Thema des Romans. Zwischen 1949 und 1951 sind rund 500 Esja-Frauen wie Ulrike auf die Insel gekommen (benannt nach dem gleichnamigen Passagierschiff, das die ersten von ihnen nach Reykjavík brachte). Mehr als 70 Jahre später spielt Katharina mit dem Gedanken, ihr Leben in Deutschland aufzugeben. Was hat Sie bei dem Thema am meisten interessiert?
Eva Seifert: Bei Katharina geht es um eine ganz andere Frage von Heimat als bei Ulrike, es spielt eher die Familie eine Rolle, die Frage, ob ihre Beziehung noch ihre Heimat ist, vielleicht. Die Begegnung mit etwas Neuem kann eben dazu führen, dass man Altes auf den Prüfstand stellt.
Viel klarer ist das Heimatthema bei Ulrike gelagert. Wobei ich sagen würde, dass sie sich selbst gar nicht viele Gedanken darüber macht, was oder wo ihre Heimat ist. Sie hat im Krieg furchtbar viel verloren und sieht für sich einfach keine Perspektive mehr in Deutschland. Alles ist zerstört, alle sind niedergeschlagen, sie möchte nur raus aus alldem.
Und greift sich den erstbesten Strohhalm, der sich ihr bietet – und das ist die Anzeige des Isländischen Bauernverbands in den Lübecker Nachrichten, in der Arbeitskräfte für die Landwirtschaft auf Island gesucht werden.
Über die Autorin
Eva Seifert ist in Bremen geboren und aufgewachsen. Nach dem Studium der Kulturwissenschaft, Germanistik und Geschichte arbeitete sie als Lektorin in München und bekam dort alle die Bücher zu lesen, die sie selbst gerne schreiben wollte.
Heute lebt Seifert mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in der Nähe von Braunschweig, wo sie als freie Lektorin und Autorin arbeitet. Ihre zweite Leidenschaft neben dem Schreiben ist das Reisen; ihre Eindrücke verarbeitet sie gerne in ihren Büchern. Im Juli wird ihr vierter Roman Die Frühstücksfrauen - ein Geheimnis in Pommern erscheinen.
Mehr erfahren | © Andrea Kannwischer
DIG: Worin sehen Sie die größte Herausforderung, vor die Sie Ihre Heldinnen stellen?
Eva Seifert: Sie befinden sich alle drei in einer Umbruchphase in ihrem Leben.
Ulrike lässt alles hinter sich für eine neue Erfahrung, die ihr Leben verändern wird. Sie sieht sich vor allem mit den Gegebenheiten auf einem isländischen Hof konfrontiert, mit der Einsamkeit, dem harschen Klima, Sprachproblemen, harter Arbeit ...
Katharinas Mutter Bärbel muss sich nach dem Tod ihres Mannes erst noch in ihre neue Rolle als alleinstehende Frau einfinden, und Katharina ist als berufstätige Mutter von zwei Kindern in der schwierigen Situation, einerseits allen gerecht werden zu müssen und sich andererseits dabei nicht selbst zu verlieren, ein Zwiespalt, den bestimmt viele kennen werden. Wo bleibt man selbst bei allem Alltagstrubel, wo findet man seine Freiheiten, seine kleinen Auszeiten? Und was macht das alles mit der Partnerschaft, wie schafft man es, die Liebe zu erhalten?
Diese unterschiedlichen Facetten zu beleuchten, fand ich sehr spannend.
DIG: Island im Jahr 1949 war ein anderes Land als heute. Wie haben Sie recherchiert?
Eva Seifert: Ich habe seeehr viel gelesen! Durch meine anderen Romane, besonders Ein Sommer unter Apfelbäumen, hatte ich mich schon mit der Kriegs- und Nachkriegszeit beschäftigt, sodass mir diese Epoche nicht fremd war. Für Ein isländischer Frühling bin ich noch einmal sehr tief in die Zeit eingetaucht und habe den Schwerpunkt natürlich auf Norddeutschland und Island verlagert.
Aber es hat eine besondere Herausforderung dargestellt, detaillierte Informationen zum Leben in der Nachkriegszeit auf Island zu finden, das stimmt, erst recht über das Leben auf dem Land. Im Internet und in der Literatur gab es aber zum Glück dann doch einiges zu finden.
Um ein Gefühl für das Land und die Leute in der Zeit zu bekommen, habe ich auch ein paar ältere isländische Romane (natürlich auf Deutsch!) gelesen. Ich habe sogar versucht, ein bisschen Isländisch zu lernen! Leider bin ich damit nicht sehr weit gekommen, es ist ja ganz schön schwierig. 😊
Liebeserklärung an die alte Heimat
DIG: Etwa die Hälfte der deutschen Einwanderinnen ist im Land geblieben. Hatten Sie die Gelegenheit, mit Nachfahren zu sprechen?
Eva Seifert: Nein, leider konnte ich nicht direkt mit Nachfahren sprechen. Aber es gibt großartige Literatur zum Thema, die ich zurate gezogen habe, beispielsweise Frauen, Fische, Fjorde von Anne Siegel. Dort kommen einige der Frauen von damals zu Wort, von deren Geschichten habe ich sehr viel gelernt und Inspirationen erhalten.
DIG: Sie selbst stammen, wie Katharina und ihre Mutter Bärbel, aus Bremen. Ist es das erste Mal, dass Sie die Hansestadt literarisch verewigen?
Eva Seifert: Nein, auch in Ein schwedischer Sommer und Ein Sommer unter Apfelbäumen beginnt die Geschichte in Bremen, einfach, weil die Protagonisten jeweils dort leben. Eine kleine Liebeserklärung an meine Heimatstadt. 😊
Allerdings werden in den nächsten Romanen nach Ein isländischer Frühling meine Protagonistinnen in Braunschweig angesiedelt sein, wo ich inzwischen lebe – zumindest in der Nähe –, und von dort aus „in die Welt“ ziehen.
Eva Seifert
Ein isländischer Frühling
Blanvalet Verlag 2023, 464 Seiten
In Ein isländischer Frühling erzählt Eva Seifert die Geschichte der Einwanderinnen Ulrike und Lore, die im Juni 1949 an Bord des Passagierschiffes Esja in Island ankommen, um der Not im zerstörten Nachkriegsdeutschland zu entfliehen.
Mehr als 70 Jahre danach reisen die Bremer Ärztin Katharina und ihre Mutter Bärbel auf die Insel und erfahren, was ihre Freundin, die quirlige Töpferin Ellen, mit Ulrike aus Deutschland verbindet. Mehr