12.07.2023
In der Außenpolitik setzt Island traditionell auf die Kooperation mit ausgewählten Partnern und regionale Foren, um seine Interessen zu verfolgen. In diesem Jahr hat die Inselnation gleich in zwei wichtigen Gremien den Vorsitz inne – und weiß diese für sich zu nutzen.
Es sind keine leichten Zeit für Diplomatie. Und doch hat Island in den vergangenen Monaten auf der weltpolitischen Bühne geglänzt.
Mitte Mai lud der kleine Inselstaat zum historischen Treffen des Europarates nach Reykjavík, dem vierten Gipfel in der Geschichte der Organisation überhaupt. Sechs Monate lang – von November 2022 bis Mai 2023 – hatte der Inselstaat den Vorsitz im Ministerkomitee der Menschenrechtsorganisation inne, und geschickt trieb er in dieser Zeit die Idee eines internationalen Schadensregisters für die Ukraine voran.
Am Ende unterschrieben fast alle der 46 Mitgliedstaaten. Für Deutschland nahm Bundeskanzler Olaf Scholz an dem Treffen in der isländischen Hauptstadt teil.
Das vereinbarte Register soll einen Beitrag dazu leisten, Schäden, Verluste und Verletzungen, die durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine entstanden sind, zu dokumentieren und so den Weg für künftige Entschädigungen durch Russland ebnen.
Ein riesiger diplomatischer Erfolg für das Land, das nur über einen kleinen Außenamtsapparat verfügt.
Überschaubares Botschaftsnetz
Gerade einmal 18 isländische Botschaften gibt es weltweit – in allen G7-Staaten außer Italien, dazu in Belgien am Sitz der Europäischen Union und in Österreich, wo neben der OSZE weitere internationale Organisationen tätig sind.
Hinzu kommen Vertretungen in den vier skandinavischen Ländern und in Polen sowie zwei Botschaften in Afrika. Ebenfalls vertreten ist Island in Peking und Neu-Delhi; die Botschaftsarbeit in Moskau wird wegen des Krieges in der Ukraine vorerst eingestellt.
In der Außenpolitik setzt die isländische Regierung traditionell auf die Kooperation mit ausgewählten Partnern und Foren der regionalen Zusammenarbeit, um seine Interessen zu verfolgen.
Doch Island hat schnell erkannt, welche Plattform der Europarat darstellt – steht das Gremium, in dem die kleinen Länder in der Überzahl sind, doch wie kaum ein anderes für ein demokratisches Miteinander.
Der Vorsitz im Europarat, der lange Zeit im Schatten der europäischen Institutionen stand, bot die Chance, der Organisation in schwierigen weltpolitischen Zeiten zu neuer Aufmerksamkeit zu verhelfen – und damit zugleich im Konzert der Großen mitzumischen.
Island hat die Herausforderung beherzt angenommen und gewonnen.
The Nordic Region - A Force for Peace
Seit Januar 2023 hat Islands Regierung die Präsidentschaft im Nordischen Ministerrat inne, der die Zusammenarbeit der fünf Länder koordiniert. Das Arbeitsprogramm basiert auf der 2019 verabschiedeten Vision 2030, den Norden zu der am stärksten integrierten und nachhaltigsten Region der Welt zu machen.
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Nicht zum Spielball der Großen zu werden – das ist seit jeher Leitfaden der isländischen Außenpolitik.
Der Inselstaat, der sich erst 1944 vollständig von Dänemark lösen konnte, legt Wert auf seine Unabhängigkeit und ist daher auch bis heute kein Mitglied der Europäischen Union.
Da erscheint es nur folgerichtig, dass Island den im Januar 2023 übernommenen Vorsitz im Nordischen Ministerrat unter das Motto The Nordic Region – A Force for Peace gestellt hat.
Den Norden als politischen Player zu etablieren, darauf zielen auch die drei Prioritäten, die es sich für die kommenden zwölf Monate auf die Fahnen geschrieben hat: grün, wettbewerbsfähig und sozial nachhaltig soll die Region werden.
Vision 2030 als Grundlage
Schwerpunkte, die stark an die von den Staats- und Regierungschefs verabschiedete Vision 2030 erinnern. Und tatsächlich stellt der Beschluss von 2019, den Norden zu der am stärksten integrierten und nachhaltigsten Region der Welt zu machen, die Grundlage für das isländische Arbeitsprogramm dar.
Schon damals war es Island, dass die Präsidentschaft innehatte. Ein Zufall, der dem politischen Kalendarium geschuldet ist; denn turnusmäßig wäre der Staffelstab in diesem Jahr an Schweden übergegangen.
Doch weil die Skandinavier im ersten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft übernahmen, ist die isländische Regierung eingesprungen. Dies könnte sich, wie schon der Vorsitz im Europarat, als glückliche Fügung herausstellen. Denn der Krieg in der Ukraine bedeutete auch einen Weckruf für die nordischen Ländern.
Beim 70-jährigen Jubiläum im vergangenen Jahr waren die fünf Mitglieder nicht in Feierlaune – zu groß schienen die Differenzen, die sich nicht nur in der Wirtschaftspolitik auftaten. Es gab Streit um die richtige Corona-Strategie, um geschlossene Grenzen, unterbrochene Verkehrsverbindungen und den Umgang mit Migration.
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Doch der russische Angriff hat alte Gewissheiten durcheinandergewirbelt – und in der unübersichtlichen neuen Weltlage setzen die Nord-Länder wieder auf verstärkte Kooperation. Da ist es klug, auf bestehende Beschlüsse aufzubauen und dabei zugleich eigene Interessen im Blick zu behalten.
In den zwölf Monaten seiner Präsidentschaft setzt Island auf Themen, die für die Zukunft des kleinen Inselstaates entscheidend sind: Klimawandel und Energiewende, grünes Wachstum und nachhaltige Fischerei, digitale Entwicklung und Innovationen, ein starker Arbeitsmarkt und Gendergerechtigkeit.
Schon den Vorsitz im Arktischen Rat hat Island 2020/2021 erfolgreich genutzt, um den Kampf gegen Klimawandel und Meeresverschmutzung in der Polarregion voranzubringen und die Arktis-Anrainer auf einen strategischen Aktionsplan bis 2030 zu verpflichten.
Doch nach dem Überfall auf die Ukraine haben die westlichen Mitglieder ihre Mitarbeit in dem Gremium bis auf weiteres ausgesetzt. Zeit, neue Netzwerke zu knüpfen.
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