24.04.2020
In Blackout Island schildert die Journalistin Sigriður Hagalín Björnsdóttir, was passiert, wenn ein Land plötzlich von der Außenwelt abgeschnitten wird. Ein ebenso düsteres wie packendes Endzeit-Szenario um die Frage, was eine Gesellschaft zusammenhält.
Blackout - Totalausfall. Über Nacht ist Island von der Außenwelt abgeschnitten. Keine E-Mails, kein Internet, keine Anrufe ins Ausland; Flugzeuge und Schiffe verschwinden vom Radar, sobald sie die Landesgrenzen passieren.
Eine Cyberattacke, ein gigantischer Stromausfall oder doch eine Naturkatastrophe? Niemand kennt die Antwort.
Nur eines ist klar: Schnelles Handeln ist gefragt, um die Bevölkerung zu beruhigen und das Land am Laufen zu halten. Das sagt zumindest Elín, bisher Innenministerin und jetzt kommissarische Regierungschefin; denn der Präsident und der Premier sind weg, verschollen im Ausland, wie viele andere auch.
Einst war sie Hjaltis Schulkameradin, selbstsicher und ehrgeizig schon damals. Jetzt hat es Elín ganz nach oben geschafft.
Als Journalist bei der Reykjavíker Tageszeitung ist es Hjaltis Job, kritische Fragen zu stellen. Doch schnell gelingt es Elín, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Neuigkeiten gegen Kartoffeln und Reis – kein schlechter Deal, wenn das Geld rasant an Wert verliert und Fabriken und Geschäfte schließen.
Informationen entpuppen sich als Fake-News
Doch die vermeintlichen Informationen entpuppen sich als Fake-News – und Hjalti verstrickt sich immer stärker in das neue System.
In Blackout Island entwirft Sigriður Hagalín Björnsdóttir ein düsteres Endzeit-Szenario. Im Kern steht die Frage, was eine Gesellschaft zusammenhält, wenn alles auseinanderbricht.
Wie ernährt man 350.000 Menschen, wenn es keine Waren mehr gibt, keinen Treibstoff und auch keine Maschinen? Island, sagt die neue Regierung, muss autark werden. Die Städter sollen aufs Land ziehen – Kartoffelanbau und Fischfang, um alle zu ernähren.
Zumindest alle, die der neuen Gesellschaft angehören.
Für Menschen wie Hjaltis spanischstämmige Ex-Freundin María und ihre Kinder ist darin kein Platz mehr. Aus der optimistischen Parole Island vorwärts wird schon bald Island zuerst.
Immer stärker greift die Regierung in den Alltag ein, Polizei und Rettungsdienste erhalten Sonderrechte. Oppositionelle werden verhaftet, Menschen ohne isländischen Pass in Lager gepfercht.
Die Regierung handelt im Namen der guten Sache – oder geht es doch nur um die Macht? In kürzester Zeit teilt sich die Gesellschaft in Nutznießer des neuen Systems, Ausgegrenzte und Kriminelle, deren Sprache die Gewalt ist. Solidarität hat ausgedient.
Medien als Handlanger der Regierung
Björnsdóttir arbeitet selbst als Journalistin bei der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt RÚV, und ihrer Geschichte merkt man das an. Überzeugend schildert sie, wie sich die Regierung mit immer neuen PR-Maßnahmen ins rechte Licht zu setzen versucht und dabei Medienvertreter wie Hjalti als Handlanger nutzt.
Geschickt streut sie Nachrichtenschnipsel in die Handlung ein, die nüchtern von den dramatischen Ereignissen im Land berichten – bis auch die letzten Medien gleichgeschaltet sind und nur noch vermelden, was ins Bild passt.
Wer auf der falschen Seite steht, bekommt die Folgen zu spüren – wie Hjalti, der sich schließlich auf den abgelegenen Hof seines Großvaters flüchtet, auf sich gestellt, nur mit einem Hund und wenigen Schafen als Begleitung.
Die Bedrohung – sie ist längst nicht mehr diffus, sondern ganz real. Bewaffnete Truppen ziehen marodierend durch das Land und terrorisieren alle, die nicht mitmachen.
Ein Gedankenexperiment, das in diesen Tagen besonders verstörend wirkt. Und eine Warnung: Der Weg in den Abgrund ist immer nur einen Schritt entfernt.
Text: Nicole Maschler
Sigriður Hagalín Björnsdóttir
Blackout Island
Suhrkamp Verlag Berlin 2018
277 Seiten