07.09.2021
Halldór Guðmundsson erzählt die Geschichte seiner Heimat durch die Literatur. Das ist erstaunlich kurzweilig. Oder wussten Sie, dass es Basken schon vor mehr als 300 Jahren nach Island verschlug und die Französische Revolution auf der Nordatlantikinsel begann?
Ein Reisebuch, eine Literaturgeschichte, ein Roman, eine Liebeserklärung – Island. Insel aus Geschichten ist all dies. Halldór Guðmundsson erzählt die Geschichte Islands durch die Literatur. Er nimmt uns mit auf eine Reise zu 30 Orten, die eng mit der isländischen Kultur und Literatur verbunden sind.
Doch Island ist nicht ohne die Landschaft zu verstehen, die das Leben auf der Insel seit vielen Jahrhunderten prägt. Und so stehen die ausgewählten Orte für Kultur und Natur gleichermaßen.
Einige sind bekannt wie der kleine Fischerort Siglufjörður, Schauplatz für die TV-Serie Trapped – Gefangen in Island und die Dark-Iceland-Reihe von Ragnar Jónasson. Andere warten darauf, entdeckt zu werden wie die Schlucht Ásbyrgi, die durch den Hufabdruck von Odins Pferd entstand – zumindest wenn man den isländischen Sagen Glauben schenkt.
Wir erfahren von Basken im isländischen Hochland und einem mysteriösen Doppelmord in den Westfjorden.
Wichtiger Schauplatz: Þingvellir
Einer der wichtigsten Schauplätze der isländischen Geschichte (und Literatur) ist ohne Frage Þingvellir. Hier gründeten die wichtigsten Bauern 930 den AlÞing, das oberste Entscheidungsgremium im alten Island. Im Jahr 1000 wurde hier der christliche Glaube angenommen, 1944 die isländische Republik gegründet.
Doch was als Wiege des heutigen Islands gilt, war zugleich ein Ort des Schreckens: Zwischen 1600 und 1750 wurden in Þingvellir mehr als 70 Menschen hingerichtet – darunter Frauen, die uneheliche Kinder zur Welt gebracht hatten. Ihr Schicksal hat Þóra Karítas Árnadóttir 2020 in dem Roman Blóðberg dargestellt.
Mit Terror und Tod endete auch die Französische Revolution. Begonnen hat sie auf Island – zumindest indirekt. Denn mit dem Ausbruch des Laki-Kraters kühlte sich das Klima von 1783 bis 1786 in ganz Europa um durchschnittlich 1,6 Grad ab.
Die Folge: Missernten, Hungersnöte und Seuchen – auch in Frankreich, wo vor allem Brot knapp und teuer wird und die Proteste schließlich in offenen Aufruhr übergehen, bis das Feudalsystem am Ende ist.
In Island wird der Laki-Ausbruch oft mit dem Namen des Kirchenmannes, Naturforschers und Autors Jón Steingrimsson verbunden, dessen abenteuerliches Leben selbst ein Buch füllt, wie der Roman über Jón von Ófeigur Sigurðsson beweist.
Von Island ins Innere der Erde
Historisch nicht verbürgt ist die Geschichte des Hamburger Professors Lidenbrock und seines Neffen Axel, die sich vom Krater des Snæfellsjökull aus ins Erdinnere aufmachen. Denn der eisbedeckte Vulkan an der Westspitze Islands gilt als Tor zur Unterwelt – zumindest im Fantasy-Klassiker Die Reise zum Mittelpunkt der Erde aus dem Jahr 1864.
Autor Jules Verne kannte den Vulkan übrigens nur aus Reiseberichten – er ist nie in Island gewesen.
Anders Nobelpreisträger Halldór Laxness, dessen Roman Am Gletscher über die seltsamen Erlebnisse eines Pfarrers in einer kleinen Gemeinde ebenfalls am Snæfellsjökull spielt.
Und so entdecken wir auf der Reise nicht nur viele spannende Orte, sondern begegnen auch einer Vielzahl von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus verschiedenen Epochen.
Manche von ihnen sind auch in Deutschland bekannt wie Gunnar Gunnarsson (Advent im Hochgebirge und Schwarze Vögel) oder Krimi-Autor Arnaldur Indriðason; andere sind nur Island-Kennern geläufig wie Guðbergur Bergsson.
Guðmundsson nähert sich seinem Thema ohne Scheuklappen, und das macht die Lektüre kurzweilig und immer wieder überraschend. Da steht der einstige Rebell Sjón neben dem Nationalheiligen Laxness, Romancier Hallgrímur Helgason neben Krimi-Star Ragnar Jónasson.
Kulturvermittler und Deutschland-Kenner
Das Buch, zunächst auf Deutsch veröffentlicht, erscheint nun auch auf Isländisch und Englisch. Das erstaunt nur auf den ersten Blick – ist Guðmundsson doch in Deutschland kein Unbekannter.
2011 hat der Verleger und Autor den viel gerühmten Gastauftritt Islands auf der Frankfurter Buchmesse organisiert und 2019 auch Norwegens Literatur erfolgreich in Szene gesetzt. In Bremerhaven hat er 2010 auf Einladung der Deutsch-Isländischen Gesellschaft sein Buch Wir sind alle Isländer. Von Lust und Frust, in der Krise zu sein vorgestellt.
Guðmundsson ist ein Kulturvermittler, und so will er uns auch mit diesem Buch seine Heimat näherbringen. Mit seinem Literatur-Wissen, seiner Kenntnis der deutschen Leserschaft und seiner Neugierde ist er ein guter Wegbegleiter.
Und so ist der einzige Wermutstropfen, dass das Buch kein Register enthält; dies wäre angesichts der zahlreichen Schriftsteller:innen, Werke und Orte, die Erwähnung finden, ein Gewinn gewesen.
Gleichwohl: Wer mehr über Island, seine Geschichte und Kultur erfahren will, der wird hier fündig.
Halldór Guðmundsson
Island - Insel aus Geschichten
Mit Fotografien von Dagur Gunnarson und übersetzt von Kristof Magnusson
Corso Verlag Wiesbaden 2021
256 Seiten
Ähnliche Beiträge